Warum übersetzen die Menschen? Das ist die Sehnsucht
nach etwas, was sich immer wieder entzieht, nach

dem unerreichten Original; nach dem

Letzten und dem Eigentlichen.

Swetlana Geier


 

 

Leseprobe

 

aus: Bolu Babalola „In all deinen Farben“ (Eisele, 2022)

 

 

Orin

 

 

ICH HABE GERADE das womöglich schlimmste Date meines Lebens. Auf dem Papier klingt alles wunderprächtig: Es ist Frei­tagabend, und ich bin auf der »Open Mic/DJ Night« im Upstairs at the Ritzy in Brixton. Die Bar ist gemütlich, die Beleuchtung gedimmt, und unter den Anwesenden erspähe ich etliche ver­traute Gesichter. Mein Date ist der Bekannte einer Bekannten, im Finanzbereich tätig und immerhin so attraktiv, dass ich eingewil­ligt habe, als besagte Bekannte anbot, ein Date für uns einzufä­deln. Das Problem ist: Er ist im Finanzbereich tätig und immerhin so attraktiv, dass ich eingewilligt habe, als besagte Bekannte anbot, ein Date für uns einzufädeln. Er trägt die Nase derart hoch, dass er der Wissenschaft als anatomisches Wunder präsentiert werden müsste. Eben erwähnte er, wie mutig er es findet, dass ich mich für einen Job entschieden habe, in dem es für viel Einsatz wenig Kohle gibt. Und Musikfotografie sei zwar ein recht origi­nelles Berufsfeld – er habe sich ja auch bereits als Fotograf betä­tigt, ob ich seine Bilderserie vom Firmen-Retreat in den Alpen vergangenen Winter gesehen hätte? –, trotzdem sei es doch jam­merschade um mein Jurastudium. Ich setze ein Lächeln auf, unter­drücke die in mir aufkeimenden Mordgelüste und fordere ihn auf, sein Handy rauszuholen und seine Musik-App zu öffnen. Nach­dem ich einen Podcast mit dem Titel Money matters – It’s A Man’s World weggeklickt und mir insgeheim Anerkennung dafür gezollt habe, dass ich nicht stante pede aus der Bar marschiert bin, rufe ich eine »Top Ten Urban Playlist« auf und sage: »Mit sechs die­ser zehn Musiker habe ich schon gearbeitet.« Er verschluckt sich an seinem Gin Tonic und konstatiert, er habe nie von ihnen ge­hört. Dann wechselt er rasch das Thema, behauptet, der Gin, den er bestellt hat – der teuerste auf der Karte –, schmecke wie Spül­wasser, kein Vergleich mit dem, den er im Rahmen einer Distil­lery Tour in den Cotswolds probiert habe, wo er nebenbei be­merkt früher immer geurlaubt habe. Seine Familie hatte ein Landhaus dort. Ich nehme einen großen Schluck von meinem Rosé, weil mir sein Gebrauch des Wortes »Urlaub« in der Verb­form sauer aufstößt.

Er heißt Raphael Adeniyi Akinyemi.

»Echt witzig eigentlich«, fährt er fort (woraus ich schließe: Der nun folgende Satz wird so unfassbar langweilig sein, dass mir vermutlich gleich die Füße einschlafen), »dass ich Raphael heiße, wie der Engel, ich kann nämlich ein richtiges kleines Teufelchen sein.« Er zwinkert mir zu. Ächz.

»Ich wette, du denkst jetzt, Raphael ist ein ziemlich eigenarti­ger Name für jemanden, dessen Eltern aus Nigeria stammen, aber ich find’s echt cool, mich auf diese Weise von der Masse abzuhe­ben. Meine Eltern nennen mich zu Hause Adeniyi, aber ich glaube, davon werd ich mich verabschieden. Und vielleicht auch von Yemi. Raphael Akin klingt einfach um Welten dynamischer.«

Ich sinke nach hinten, einen Arm über die Rückenlehne mei­nes Stuhls drapiert. Mittlerweile mache ich mir gar nicht mehr die Mühe, Interesse zu heucheln, denn es ist offensichtlich, dass ich

das fünfte Rad am Wagen bin bei Raphael Akins Date mit sich selbst. Oder eher, dass ich das Publikum bei Raphael Akins Date mit sich selbst bin. Wenn ich es von dieser Warte betrachte, lässt sich der Abend noch am ehesten retten. Immersives Entertainment mit dem Stück »Der moderne Narziss«. Es ist ein kleiner Licht­blick, als der DJ einen Afrobeat-Song auflegt. Ich beginne so­gleich, mich im Takt zu wiegen, mein Oberkörper kann dem Rhythmus nicht widerstehen. »Du gehst ja richtig ab! Shout out to Burna Boy, was?«, tönt Raphael glucksend, und damit ist mein flüchtiger Glücksmoment ratzfatz ruiniert. In Wahrheit ist der Song von Wizkid. Ich vernehme ein Schnauben und spähe hinü­ber zu Raphaels Sitznachbarn, der vergeblich versucht, sein hä­misches Grinsen mit einem Schluck aus seiner Bierflasche zu ka­schieren. Er mustert mich unbefangen, mit amüsiert aufblitzenden Augen. Ich hebe eine Augenbraue, worauf er noch breiter grinst. Idiot. Und dreist obendrein – er glaubt offenbar, ein sexy Lächeln würde vollauf genügen, um von der Tatsache abzulenken, dass er uns ungeniert belauscht.

Ich bin froh, als die Bandmitglieder die Bühne betreten. Höchste Zeit für ein bisschen Ablenkung in Gestalt eines weißen Jünglings, der eine folkige Coverversion von Lil Waynes »Lolli­pop« zum Besten gibt.

»Weißt du, was ich am liebsten höre?«, fragt Raphael Akin.

Ich strahle ihn an. »Den lieblichen Klang deiner Bariton­stimme?«

Der Typ neben ihm schnaubt belustigt. Raphael Akin scheint es nicht gemerkt zu haben.

»Nein, Banjo. Wobei ich am College ja in einem Männer-Vo­kalensemble gesungen habe. Wir nannten uns die Knightingales, mit einem K vorne. Ich hatte den Spitznamen Lancelot, weil ich ein ziemlicher Casanova war.«

Ich beiße die Zähne zusammen, um meine Zunge im Zaum zu halten. Der Typ neben Raphael schnappt meinen Blick auf und stellt eine pseudofaszinierte Miene zur Schau. Er ist ein Arsch mit Ohren, und zwar leider ein ziemlich gutaussehender. Er sitzt ganz entspannt da in seinen Jeans und dem tief ausgeschnittenen wei­ßen T‑Shirt, das den Blick auf ein schlichtes, dünnes Goldkett­chen freigibt. Was für ein Kontrast zu dem Hemd mit dem auf­gestickten kleinen Mann auf einem Pferd, das mein Begleiter zu seinen Chinos trägt. Je öfter ich rüberschiele, desto deutlicher wird, dass es ein sehr schönes T‑Shirt ist. Man muss schon ein herausragendes Modebewusstsein haben, um das perfekte weiße T‑Shirt zu finden und auch noch gut darin auszusehen. Sowas ist ein wahres Stilbarometer. Dem lockeren Schnitt zum Trotz kann man unter dem dünnen Jersey-Stoff deutlich den gut gebauten Oberkörper des Trägers erkennen … Hey, ich bin auf einem Date und checke einen anderen Mann aus! Als mein Blick etwas nach oben wandert, stelle ich fest, dass er mich beobachtet hat, und in seinem Ausdruck liegt etwas, das ein Kribbeln in meinem Unter­bauch hervorruft. Hat er mich etwa auch gerade ausgecheckt?

Die angenehme Wärme, die mich durchrieselt, verpufft jäh, als er sich einer in eine blumig-süßliche Parfümwolke eingehüllten jungen Frau mit glänzendem Haar und Statement-Stöckelschuhen zuwendet, die sich neben ihm niederlässt. Sie begrüßt ihn mit einem ausgiebigen Kuss, bei dem deutlich zu erkennen ist, wie sich ihre feuchten Zungen wie zwei schleimige rosarote Nackt­schnecken umspielen. Ihre Hand wandert an seiner Brust entlang nach unten und kommt erst kurz vor dem Gürtel zum Stillstand. »So sorry, Babe«, säuselt sie. »Der Dreh hat länger gedauert.«

Ich grinse. Seine Begleiterin setzt sich und schlägt die unbestrumpften, schimmernden Beine übereinander, wobei sie das obere unnötig hoch anhebt. Sie trägt ein Fußkettchen. Ich wieder­hole: ein Fußkettchen. Eines, an dem, wie es aussieht, kleine Schmetterlinge baumeln. Somit steht dann wohl fest, dass ich nicht sein Typ bin und er nicht meiner. Ich kann mich beim bes­ten Willen nicht in Fantasien über einen Typen ergehen, der sich mit einer Fußkettchenträgerin einlässt. Dafür fehlt mir einfach das nötige Vorstellungsvermögen. Ich lehne mich zurück, ein klein wenig getröstet von dieser Erkenntnis, während Raphael von dem Multimedia-Krimi berichtet, an dem er gerade arbeitet. »Stell dir vor, du benutzt einen E‑Reader, und statt die Szene mit der Verfolgungsjagd zu lesen, siehst du dir einen kurzen Film-Clip davon an. Ich glaube, ich werde es Cri‑Fi nennen, weil es eine Kombination aus Krimi und Film ist.«

Ich überlege, ob ich wohl schon eine Fahne habe. Vielleicht sollte ich mal rumfragen, ob jemand in der Reihe, in der wir sit­zen, einen Kaugummi hat. Oder eine Zyanidkapsel.

Der Abend nimmt eine interessante Wendung, als der MC verkündet, dass die nächste Sängerin niemand Geringeres ist als die Fußkettchenträgerin. Die gelassene Miene ihres Begleiters ist auf einen Schlag wie weggewischt.

»Was? Moment mal …«, flüstert er mit einem steifen Grinsen.

Ihre perfekt aufgespritzten Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. »Jep! Ich wollte dich überraschen.« Sie tippt ihm mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze und stolziert dann auf die schäbige Bühne zu. In ihren Stöckelschuhen und dem hautengen Kleid wirkt sie wie eine Diva, die man in ein Provinztheater straf­versetzt hat. Sie greift nach dem Mikrofon und schnippt sich das Haar über die Schulter.

Ich linse zu dem Hottie im weißen T‑Shirt hinüber, dem das verkrampfte Lächeln im Gesicht festgefroren ist. Er kann sein Entsetzen kaum verhehlen. Sein Date räuspert sich und klopft auf das Mikrofon, das prompt höllisch laut quietscht.

»Hi, Guys!«, flötet sie in genau dem Tonfall, den man von Beauty-Tutorials auf YouTube kennt. Sie ist faszinierend. Ich mag sie. »Also, ich bin Lissa … Ihr könnt mir übrigens auf Lissa Underscore Loves auf Instagram folgen. Jedenfalls werde ich ein Cover von Taylor Swift singen. Habt ihr ein paar von ihren Songs drauf?«, fragt sie, zu den verdatterten Bandmitgliedern gewandt, die Anch-Kreuze tragen und auf Neo-Soul spezialisiert sind. Sie starren sie an, als wäre ihr plötzlich ein zweiter Kopf gewachsen. Sie runzelt die Stirn, lässt sich jedoch nicht beirren.

»Echt jetzt? Seltsam. Naja, kein Problem, dieser Song ist ein Klassiker. Ich fange einfach a capella an, ihr könnt ja dann ein­steigen. Ach ja, ich werd den Song ein bisschen pimpen, und zwar mit ein paar Zeilen Rap in der Mitte.«

Und da weiß ich, dass ich verliebt bin.

Wenn der Hottie im weißen T‑Shirt blass werden könnte, dann sähe er jetzt zweifellos aus wie einer der Vampire aus den Twilight-Filmen. Er hat die Lippen zusammengepresst und die Augen weit aufgerissen vor Entsetzen. Hach, ist das toll.

Die Singstimme seines Superstar-Models klingt ungefähr so wie die eines zum Leben erweckten Zuckerwattebauschs in einem Zeichentrickfilm wohl klingen würde, mit einem Touch ersau­fende Katze. Es ist einfach schaurig schön. Ich amüsiere mich kö­niglich, zumal sie es sogar schafft, Raphael zu übertönen. Ihr Date sitzt während ihrer musikalischen Darbietung, bei der sie ihn mit den Wimpern klimpernd anschmachtet, stocksteif auf seinem Stuhl, ohne zu blinzeln. Ich wippe im Takt mit dem Kopf, und bei ihrer kleinen Rap-Einlage, in der unter anderem der Satz »Peng boy, don’t play me like a toy« vorkommt, schnipse ich mit den Fingern und rufe: »Say it, Sister!«

Der Hottie im weißen T‑Shirt wirft mir einen finsteren Blick zu. Ich grinse.

»Shout out to Rap«, sagt Raphael.

 

»Wie sieht’s aus, machen wir ’n Abgang?« Raphaels Unverfroren­heit schlägt dem Fass den Boden aus.

Es ist Pause, wir stehen draußen im Raucherbereich, und ich trinke mein zweites Glas Rosé. Raphael scheint anzunehmen, dass wir gleich knutschen werden; er rückt mir immer näher auf den Pelz.

»Ich wohne in Clapham, also quasi um die Ecke, und ich hab noch eine Flasche von diesem Gin aus den Cotswolds zu Hause, um deinen Geschmackshorizont zu erweitern. Mit diesem Fake-Wein, den du schon den ganzen Abend trinkst, kann ich leider nicht aufwarten. Ich meine, Rosé – was bist du, eine Real House­wife? Haha, kleiner Scherz. Das ist echt nicht dein Vibe, wie man sieht. Ich meine, wär’s zu viel verlangt, dass du zu einem Date ein Kleid anziehst?« Ich trage eine schmal geschnittene Cargohose, ein bauchnabelfreies schwarzes Top mit Spaghettiträgern und ein Hemd, das ich mir lässig über die Schulter rutschen lasse, dazu Sneakers und roten Lippenstift. Da kann er sich mal eine fette Scheibe abschneiden. »Haha, war nur ein Witz. Na, jedenfalls würd ich sagen, ich bestell uns jetzt mal ein Uber, und …«

Ich stoße einen brunnentiefen Seufzer hervor und reibe mir die Schläfe, während ich versuche, den kümmerlichen Rest mei­ner rapide dahinschwindenden Geduld zusammenzukratzen. »Oh, Mann, Raphael. Sag mal, läuft dieses Date deiner Ansicht nach gut?«

Er runzelt konsterniert die Stirn. Schon beinahe liebenswert, diese schier unerschöpfliche Hybris. »Es hat durchaus Knister­faktor, finde ich.«

Ich weiß, ich sollte höflich bleiben, aber infolge des Rosé-Konsums ist mir die Fähigkeit, mich zurückzuhalten, abhanden­gekommen, und außerdem tut mir der Kiefer weh, weil ich mir schon so lange das Lachen verbeiße. Und der Knisterfaktor war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Also schüttle ich grinsend den Kopf und sage: »Lancelot ist ein sau­dämlicher Spitzname für jemanden, der an der Uni angeblich ein Casanova war. Guinevere hat ihm nämlich einen Korb gegeben, worauf er ins Kloster gegangen und dort vor Kummer gestorben ist. Wenn du dir die Mühe gemacht hättest, mir ein paar Fragen zu stellen – was dir natürlich völlig unmöglich war, dafür liebst du den Klang deiner Stimme einfach viel zu sehr – dann hättest du erfahren, dass ich mich damit auskenne, weil ich nämlich unter anderem eine Geschichts-Vorlesung zum Thema Mytho­logie besucht habe. Und was dein Cri‑Fi-Projekt angeht … Ganz objektiv? Das ist total gaga. Ich sage dir das, weil … okay, weniger, weil du mir am Herzen liegst, sondern vielmehr, weil mir unsere Kultur am Herzen liegt, und weil das schlicht und ergrei­fend Frevel ist, eine Verunglimpfung von Film und Literatur glei­chermaßen.«

Raphael blinzelt, und ich kann mitansehen, wie der Schock über die Abfuhr blitzartig in Hohn und Gehässigkeit umschlägt, ohne den Umweg über ein klein wenig Selbstreflektion zu neh­men. »Wen interessiert’s, Alter.« Alter?

Er zieht angewidert die Oberlippe hoch, was ihm das Ausse­hen eines fiesen Disney-Prinzen und damit endlich eine interessante Note verleiht. Welche Ironie – jetzt könnte ich ihn gut fin­den. »Dieses Date ist ohnehin eine reine Gefälligkeit, und es war von Anfang an klar, dass du dich von mir eingeschüchtert fühlst. Und außerdem …« Er lässt den Blick über mich wandern. »Wieso sollte ich mit einer Frau ausgehen, die sich anzieht wie eine Kreuzung aus Stripperin und Gangsterbraut? Du machst einen etwas verwirrten Eindruck, Herzchen.«

Ich pruste los, denn zum einen stehe ich total auf die modische Kreuzung aus Stripperin und Gangsterbraut, und zum anderen muss ich mir von jemandem, der wie eine vielschichtige Rassen­allegorie aus einem Jordan-Peele-Film herumläuft, nicht sagen lassen, ich würde einen verwirrten Eindruck machen.

Ich straffe die Schultern und bin im Begriff, genau das zu sagen, als jemand hörbar amüsiert fragt: »Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?«

Wir blicken in die Richtung, aus der die kühle, tiefe Stimme kam. Neben Raphael steht, über die Brüstung gelehnt, der Hottie im weißen T‑Shirt, Bierflasche in der Hand, ein Grinsen im Ge­sicht.

»Wie bitte?«, sagt Raphael mit schmalen Augen.

Der Hottie richtet sich lachend auf, reibt sich das stoppelige Kinn und zuckt dann die Schultern. »Sorry, aber mir ist echt schleierhaft, wie du es wagen kannst, von deiner Begleiterin zu behaupten, sie wäre eingeschüchtert – wovon? Von einem billigen Carlton-Banks-Verschnitt wie dir?«

Ich gebe eine elegante Kombination aus Nach-Luft-Schnappen und Grunzen von mir und halte mir sogleich die Hand vor den Mund, während Raphael »Halt dich da verdammt noch mal raus, Alter« faucht. Da dies nicht die erwartete Reaktion hervorruft, schiebt er ein »Man, fuck off, Nigga!« hinterher.

Die Leute in unserer Ecke des Balkons verstummen; eher vor Verblüffung als peinlich berührt. Der Hottie im weißen T‑Shirt setzt eine ernste Miene auf, obwohl seine Augen belustigt funkeln. Er presst sich die Hand aufs Herz, als hätte man ihm einen Dolch hineingerammt, und sagt mit der Gravitas eines Sidney Portier: »Wow. Das tut weh, Bruder.«

Ich räuspere mich, um mein Lachen zu kaschieren, und schüttle den Kopf, dann füge ich in einem Tonfall höchster Entrüstung hinzu: »Ja, das war jetzt echt unnötig … Alter.«

Raphael würde sichtlich am liebsten im Boden versinken. Er wendet sich heftig zwinkernd zu mir um und öffnet den Mund, doch dann wird ihm – wohl in Anbetracht meiner übertrieben entsetzten Miene – bewusst, dass es hier nichts mehr zu retten gibt, keine Möglichkeit, das Gesicht zu wahren. Er stürmt in die Bar; zurück bleibt nur eine Wolke Aftershave von Ralph Lauren.

 

Einige Sekunden herrscht verdattertes Schweigen, dann fangen wir beide an zu lachen. Von kameradschaftlicher Albernheit erfasst, halten wir uns keuchend und stöhnend die Bäuche, nur um gleich aufs Neue loszukichern.

»Oh, mein Gott!«, quieke ich. »Ist das echt gerade passiert? Total unglaublich, oder? Das hab ich ja noch nie erlebt, dass ein Schwarzer derart verächtlich ›Nigga‹ sagt.«

Der Hottie im weißen T‑Shirt nickt mit zuckenden Schultern, sein volltönendes Glucksen wirkt ansteckend. »Das gehört zu den verrücktesten Situationen, die ich je erlebt hab. Ganz im Ernst. Warum hat er es derart verächtlich gesagt? Und warum hat er so getan, als wollte er mich damit beleidigen? Das war echt der Hammer. Er hat eindeutig Bühnenpräsenz. Scheiß auf das Vokalen­semble, er hat das Zeug zum Schauspieler.«

»Er war auch schon mal Schauspieler. Das hast du verpasst, als du deinen schamlosen Lauschangriff unterbrochen hast, um aufs Klo zu gehen. Er war in einer ausschließlich aus Männern bestehenden Impro-Theater-Truppe, die sich Fried Whiskey nannte.«

Er starrt mich ungläubig an. »Du verarschst mich, oder?«

»Wie um alles in der Welt könnte ich mir etwas derart Bescheuertes ausdenken?«

Er zuckt die Schulter. »Keine Ahnung, ich kenne dich ja nicht.«

Ich hebe eine Augenbraue. »Was dich aber nicht davon abgehalten hat, mir in die Parade zu fahren – völlig unnötig übrigens, ich hatte alles im Griff. Ich hätte ihn noch richtig schön durch den Kakao ziehen können.«

Jetzt dreht er sich ganz zu mir um, an die Brüstung gelehnt, sein Bier schwebt über der belebten Straße unter uns. Allmählich bricht die Dämmerung herein, und das Hupen der Autos, das Schnaufen der Busse, das Wochenendgeplauder verschmelzen zu

einer Art urbanem Wiegenlied. Es ist Hochsommer, ein laues Lüftchen weht, samtige Abendluft hüllt uns ein, angereichert mit Zigarettenrauch, dem Duft von Brathähnchen und einer Mi­schung aus süßem Gras und saurem Alkohol, was ein köstliches Umami ergibt. Zum ersten Mal an diesem Abend bin ich voll­kommen entspannt.

»Oh, davon bin ich überzeugt«, sagt der Hottie mit einem ge­fährlich schiefen Schmunzeln. »Ich meine, ›der liebliche Klang deiner Baritonstimme‹?« Er pfeift anerkennend. »Wow. Bril­lant.«

Ich liebe Männer, die literarische Genies zitieren können. »Besten Dank«, sage ich und verbeuge mich.

Er lacht. »Ganz im Ernst, tut mir leid, dass ich mich einge­mischt habe, das war unhöflich, aber ich konnte mich einfach nicht bremsen. Es war eine unmittelbare körperliche Reaktion auf diese Stimme, diesen Tonfall …«

Ich trete einen Schritt näher und lehne mich ebenfalls an die Brüstung. »Kein Problem, ich kann’s dir nachfühlen. Er ist eine unglaubliche Nervensäge. Er klingt wie ein Roboter, den ein paar Bros aus Fulham im Auftrag eines Tech-Startups entwickelt haben mit dem Ziel, damit die schwarze Community zu unterwandern.«

Der Hottie grunzt belustigt. »Das Projekt ist kläglich geschei­tert. Ich könnte ihn wegen eines Hassverbrechens anzeigen.«

Ich verschlucke mich an meinem Wein, und er schmunzelt erneut. Mist, er ist echt verdammt heiß: Fade Cut, kurze Twists, die weich und kratzig zugleich wirken, und der Glanz in seinen Augen weckt in meinem Bauch ein warmes Gefühl aus seinem Dornröschenschlaf, eine Glut, die ich längst erloschen glaubte. Ich spüre, wie er ihr mit seinem Schmunzeln neues Leben einhaucht. »Jedenfalls ist der Typ ein Banause. Rosé ist klasse.« Er deutet auf mein Glas. »Ich vertrage ihn bloß nicht; ein Glas, und ich werde zur Schlampe.«

 

»Oh. Na, das will ich lieber nicht erleben, nach der Knutsch­session, die ich vorhin mitansehen musste«, sage ich trocken. »Ich möchte wetten, ihr habt da gegen allerlei Hygieneregeln ver­stoßen. Wo ist deine zukünftige Beyoncé eigentlich abgeblieben?«

Er schüttelt den Kopf und unterdrückt ein Grinsen. »Hallo? Die Frau ist mindestens die nächste Ariana Grande!« Er zögert, kratzt sich an der Wange. »Äh, sie ist gegangen. Sie hat mich ge­fragt, wie ich ihren Auftritt fand …«

Ich nicke. »Verstehe, und du hast natürlich die Wahrheit ge­sagt – ›Es war wunderschön … anrührend …‹«

Er beißt sich auf die Unterlippe, und es fällt ihm sichtlich schwer, ernst zu bleiben. »Ich hab gesagt, ihr Auftritt sei einzig­artig und stark gewesen.«

»›Stark‹ im Sinne von ›könnte Tote zum Leben erwecken‹?«

Jetzt muss er doch grinsen. »Wow, bist du fies.«

Ich grinse ebenfalls. »Naja, du hast gerade die potenzielle Liebe meines Lebens in die Flucht geschlagen.«

»Das war aber nicht allein mein Verdienst, das war eine ge­meinschaftliche Leistung. Wir geben ganz offensichtlich ein gutes Team ab.«

Es knistert vernehmlich zwischen uns. Erst in diesem Augen­blick wird mir bewusst, dass nur noch wir zwei auf dem Balkon stehen. Die Pause ist vorbei, alle anderen sehen sich den Rest der Show an. Keiner von uns macht Anstalten, wieder reinzugehen. Durch die Brandschutztüren dringen Stimmengewirr und die ge­dämpften Klänge eines Neo-Soul-Songs aus der Bar und vermi­schen sich mit der chaotischen Symphonie der Straßen unter uns. Der Hottie räuspert sich.

»Willst du wieder reingehen?«

Oh‑oh. »Du?«

»Nein.«

»Ich auch nicht.«

 

Seine Züge entspannen sich noch weiter, und mein Herz schlägt eine Spur schneller, als er einen Mundwinkel hochzieht. »Na, jedenfalls meinte sie auf mein natürlich absolut tief empfun­denes Kompliment hin: ›Dann stell mich doch mal deinen Kolle­gen vor.‹ Ich sollte vielleicht erwähnen, dass ich A&R-Manager bei einem Plattenlabel bin.«

»Ach, echt? Bei welchem denn?«

Er mustert mich argwöhnisch. »Synergy Records.«

»Oh, wow. Cool.« Ich lächle. »Ich bin Fotografin und auf Musiker spezialisiert. Ich war mit ein paar eurer Künstler auf Tour.«

Seine Augen leuchten auf, und er tritt sichtlich erleichtert etwas näher. »Im Ernst? Hammer.«

»Mhm. Du hast gedacht, ich versuche gleich, dir meinen Soundcloud-Link aufzuschwatzen, stimmt’s?«

»Äh, ja. Ich hab schon so einiges erlebt. Ich heiße übrigens Deji.« Er streckt mir die Hand hin, was mir seltsam förmlich er­scheint, wenn man bedenkt, dass jeder von uns aus nächster Nähe mitangesehen hat, wie das Date des anderen den Bach run­terging. Trotzdem ergreife ich seine Hand und schüttle sie. Mein Herz macht einen Satz, als sich seine Finger um die meinen schmiegen.

»Ähm, schön, dich kennenzulernen. Ich bin Orin.«

Er reißt die Augen auf und macht einen Schritt nach hinten, als wollte er mich von Kopf bis Fuß mustern. »Scheiße, doch nicht etwa Orin Adu?«

»Doch, woher kennst du …«

»Ich liebe deine Arbeit. Ganz im Ernst, ich finde deine Bilder umwerfend. Das klingt jetzt vielleicht supernerdy, aber egal: Ich folge dir auf Instagram. Also, deinem Foto-Account. Ich hab sogar eins deiner Bilder als Großdruck an der Wand hängen – Burna Boy in Paris. Unglaublich. Was du machst, ist echte Kunst. Hilfe, ich führ mich auf wie ein Fanboy, oder? Ich halte jetzt wohl besser den Schnabel.«

Seine weltmännische Fassade bekommt weitere Risse und gibt den Blick frei auf ein natürliches, sympathisches Naturell. Er ver­eint sowohl Herzlichkeit als auch Coolness in sich, verströmt Läs­sigkeit ohne übertriebene Nonchalance, Extrovertiertheit ohne abgeschmackte Sprüche. Aus der Glut in meinem Bauch lodert eine Flamme auf, deren Lichtschein sich auf meinem Gesicht aus­breitet, über die Wangen bis hinauf zu den Augen. Mir ist, als würde ich von innen heraus leuchten.

»Danke, das ist Balsam für meine Seele. Meine Mutter macht nämlich keinen Hehl aus ihrer chronischen Enttäuschung darü­ber, dass ich nicht Juristin geworden bin, aber du gibst mir das Gefühl, dass es das wert ist.«

»Ah.« Er nickt bedächtig. »Ich weiß, was du meinst. Ich habe Wirtschaft studiert, um den Ehrgeiz meiner nigerianischen Eltern zufriedenzustellen.«

»Der Klassiker … Mist, ich hab dich vorhin unterbrochen! Entschuldige. Ich bin keinen Deut besser als Rafael Akin.«

Er schüttelt den Kopf. »Quatsch, kein Problem. Der Knabe hat Monologe gehalten; das hier dagegen ist ein interessantes Zwiegespräch. Naja, wie gesagt, sie fand, ich solle meinen Kolle­gen erzählen, ich hätte die nächste Rihanna entdeckt, worauf ich meinte: ›Ich glaube kaum, dass das eine gute Idee wäre.‹ Darauf sagt sie –« Er hebt den Zeigefinger und imitiert ihre Stimme ge­radezu erschreckend perfekt: »›Warum zum Teufel nicht?‹ Darauf ich: ›Ich habe den Eindruck, du bist noch nicht bereit für einen derartigen Karrieresprung.‹«

Ich nicke. »Sehr gut.«

»Danke. Jedenfalls hat sie daraufhin gezetert: ›Tja, ich hab den Eindruck, du bist noch nicht bereit für das hier‹ und auf sich ge­zeigt, und dann hat sie mich einen Casanova genannt und ist ab­geschwirrt. Damit war sonnenklar, dass sie nur auf meine Kon­takte aus war. Sehr enttäuschend; wenn ich schon von Frauen ausgenutzt werde, dann lieber wegen meines Körpers.«

Es dauert, bis ich nach meinem Lachanfall wieder reden kann. »Entschuldige. Entschuldige. Das ist gar nicht lustig«, keuche ich schließlich.

»Ach, irgendwie schon. Es war erst unser drittes Date, und wir hatten nichts gemeinsam. Aber das war garantiert das letzte Mal, dass ich jemandem auf Instagram eine Direct Message schicke.«

Ich mustere ihn ungläubig. »Echt jetzt? Du hast …«

Er zuckt die Schultern. »Na, wie soll man denn bitteschön heutzutage jemanden kennenlernen? Ich arbeite die ganze Zeit, und diese diversen Dating-Apps finde ich alle total gruselig. Wie bist du an deinen Carlton Banks gekommen? Ich mag mich täu­schen, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass er so ganz dein Typ war.«

»Püh.« Ich lache. »Ja, im Grunde genommen war er das ab­solute Gegenteil von den Jungs, für die ich mich sonst so interes­siere. Aber genau deshalb hab ich mich mit ihm getroffen. Ich bin naturgemäß viel mit Musikern unterwegs, da ist es wohl kein Wunder, wenn ich auf Gitarristen, Bassisten, Schlagzeuger und so weiter stehe. Und es endet so gut wie jedes Mal mit einem gebro­chenen Herzen, für mich. Neulich hab ich mich bei der Baby-Shower-Party einer Freundin über mein Pech in Sachen Bezie­hungen ausgekotzt, und eine der anderen Anwesenden meinte, es könne daran liegen, dass ich immer mit derselben Sorte Mann anbandle. Sie arbeitet im Finanzbereich, und sie sagte: ›Weißt du was? Ich glaube, ich hätte da jemanden für dich. Er ist der einzige Schwarze bei uns im Büro.‹ … Also, ich weiß ja, dass Rassismus in der Berufswelt nach wie vor ein Thema ist, aber ehrlich gesagt glaube ich inzwischen, dass er der einzige Schwarze ist, weil er alle anderen kaltgemacht hat. Na, jedenfalls dachte ich, einen Versuch ist es wert, und vielleicht hat meine Mutter ja recht; vielleicht sollte ich mir einen Mann angeln, der bei der Arbeit eine Krawatte trägt. Womöglich ist meine Vorstellung von Romantik ja Bockmist; vielleicht ist der Wunsch, jemanden zu finden, der mich wirklich versteht, total unrealistisch. Vielleicht kann ich mich auch mit einem Mann begnügen, der das genaue Gegenteil von dem ist, was ich will, solange er mich anständig behandelt. Ich meine, wer braucht schon Herzklopfen? Vielleicht ist es ja schlicht unmöglich, sowohl Herzklopfen als auch Stabilität zu be­kommen. Tja, aber selbst mein Versuch, mich mit weniger zufrie­denzugeben, ist gescheitert. Wahrscheinlich sollte ich mir ein paar Vögel zulegen und mich damit abfinden, dass ich eine extrem gla­mouröse Fotografin bin, die ihr Leben lang Single bleibt.«

Ich spähe zu den Sternen empor, die über mir am Nachthim­mel funkeln, und schmecke die Lüge in meinen Worten. Meine Worte passen nicht in meinen Mund. Sie hinterlassen darin einen schalen Nachgeschmack, gegen den mein Gaumen rebelliert. Ich schüttle den Kopf. »Aber das will ich nun mal nicht. Ich will eine extrem glamouröse Fotografin sein, die einen Hund hat und einen Mann, der sie auf Händen trägt. Daran ist doch nichts auszuset­zen, oder?«

Er schenkt mir ein kleines, sanftes Lächeln, gepaart mit einem Blick, der so weich ist, dass ich darin versinke. Ich verspüre nicht den Drang, dagegen anzukämpfen.

»Überhaupt nicht. Mir geht es genauso. Die Partnersuche ist verdammt noch mal die Hölle. Zum einen wird einem so viel vor­gespielt, nicht? Bei den ersten paar Verabredungen präsentiert man eine aufpolierte, coolere Version von sich selbst, immer vo­rausgesetzt, es findet sich überhaupt jemand, mit dem man sich verabreden will. Und dann dieser Druck – beide wissen, dass so ein Date nur einen einzigen Zweck hat: Man will unbedingt, dass etwas daraus wird. Und wenn nichts daraus wird, ist man ent­täuscht, und dann muss man sich der Enttäuschung zum Trotz dazu überwinden, den nächsten Versuch zu wagen.«

Ich schnippe wie zur Bestätigung mit den Fingern und nicke. »Genau! Genau so ist es. Ich wünschte, man könnte die peinliche Phase am Anfang überspringen und gleich zum lustigen Teil übergehen, zu diesem Gefühl, wenn beim Kennenlernen alles stimmt – das Timing, die Umstände, Chemie … vorausgesetzt, man gerät mal ausnahmsweise an jemanden, der emotional nicht derart ver­korkst ist, dass er zwar sein Meerschweinchen mitnimmt auf Welttournee, sich aber weigert, einem eine Sockenschublade in seiner Wohnung freizuräumen.«

»Der Schmerz darüber sitzt noch tief, hm?«

»Der Bassist.« Mein trockenes Lachen gerät zu einem Stöh­nen. Frustriert bedecke ich mein Gesicht mit der Hand. »Gott, warum tue ich mir das immer wieder an?«

Ich spähe zwischen den Fingern hindurch und sehe, wie er die Schultern zuckt. »Tja, die Hoffnung stirbt zuletzt, oder? Das ist doch nicht schlimm. Ist jedenfalls keine Charakterschwäche.«

Ich lasse die Hand sinken und lege sie neben die seine auf die Brüstung. Wir stehen so dicht nebeneinander, dass sich unsere Beine berühren. Der unverkennbar aufgewühlte Blick in seinen funkelnden Augen hält mich gefangen. Eine erhebende Wärme macht sich in mir breit, setzt sich fest.

»Übrigens, Stripperin und Gangsterbraut ist eine heiße Kombi, und du kannst es dir definitiv leisten, sie zu tragen. Du siehst aus wie der Star einer Neunzigerjahre-Sitcom.«

Ich schmunzle. »Danke, das ist sehr süß, und sehr konkret.«

»Ich war total in Ashley Banks verknallt.«

Meine Wangen beginnen zu glühen. »Ich seh schon, du bist ein großer ›Prinz von Bel Air’-Fan.«

»Das war meine Lieblingsserie.«

Ich muss lachen. »Wär’s nicht toll, wenn es immer so unkompliziert wäre? Man plaudert über die Sitcoms, nach denen man als Kind süchtig war, verfolgt, wie der andere sein Date in den Sand setzt, und stellt fest, dass er in puncto Knutschen völlig talentbefreit ist …«

Deji hebt die Hand. »Moment, Mo‑ment«, sagt er mit todernster Miene. »Das ging allein auf ihr Konto. Da war nichts mehr zu retten. Lass dir eins gesagt sein, Orin Adu: Ich bin ein begnadeter Küsser.«

»Kann ja jeder behaupten.«

»Ich erzähl keinen Mist. Ich kann’s beweisen.« Seine Stimme wird tiefer und bringt etwas in mir zum Schwingen, zugleich sorgt sein Blick dafür, dass mir die Luft wegbleibt. Die Zeit scheint sich zu verlangsamen, die dumpfen Bässe des Songs von Erykah Badu, der gerade in der Bar gesungen wird, klingen zeitlupenartig verzerrt in meinen Ohren. Mir ist, als würden wir die Grenzen von Raum und Zeit überschreiten. Ich habe keine Ahnung, wie lange wir so dort stehen, aber der Boden unter meinen Füßen fühlt sich an wie ein luftleerer Raum verglichen mit der soliden Erkenntnis, die mich in diesem Augenblick ereilt. Ich spüre, wie die Bedeu­tung dessen, was das hier ist, was es werden könnte, von innen gegen meine Rippen drückt, und mein Herz pocht heftig ange­sichts dieser schwindelerregenden Fülle an Möglichkeiten. Es gab sehr wenige Augenblicke in meinem Leben, in denen ich restlos zuversichtlich war, doch in dieser Sekunde bin ich ganz hundert­prozentig überzeugt, dass Deji nicht nur ein begnadeter Küsser ist, sondern auch den Beweis antreten wird.

Er lächelt, mit diesen üppigen Lippen, die aussehen, als be­stünden sie aus Marmor und Wolken zugleich. »Also, wenn wir noch woanders hingehen und uns einen Drink und vielleicht einen Happen zu essen gönnen, dann könnte das hier rein theo­retisch als erstes Date zählen. Wäre eigentlich perfekt, weil keiner die Telefonnummer des anderen hat. Wenn es beschissen läuft, können wir einfach nach Hause gehen und das Ganze vergessen. Falls einer den anderen nach der Nummer fragt, und der andere glaubt nicht, dass es einen Sinn hat, kann er einfach Nein sagen.«

»Warte mal, hast du mich gerade gefragt, ob ich mit dir ausgehe?«

»Nur, wenn du mich nicht abblitzen lässt.«

»Nur, wenn du mir eins versprichst«, kontere ich grinsend und zitiere die tiefschürfenden Worte von Lissa Underscore Loves: »Don’t play me like a toy … peng boy.«

Deji lacht. Das Leuchten in seinen Augen tanzt. »Du bist echt furchtbar.«

»Und trotzdem willst du mit mir ausgehen.«

»Ja, weil du obendrein total witzig, clever, interessant und sexy bist, und weil ich dich gern näher kennenlernen würde, um aus­zuloten, wie fies und furchtbar genau du sein kannst.«

Ich lege den Kopf schief und eine Hand aufs Herz. »Ein derart süßes Kompliment hat man mir noch nicht oft gemacht. Das ist dann wohl der passende Zeitpunkt, um dir zu sagen, dass du ein Idiot bist. Ganz ehrlich, bei unserem ersten Blickkontakt vorhin dachte ich: ›Püh, was für ein Arsch mit Ohren.‹ Du kannst dir bestimmt vorstellen, was für eine Genugtuung es war, festzustel­len, dass ich recht hatte.«

»Pass bloß auf, sonst verliebe ich mich in dich, und dann wird es für uns beide peinlich.«

Im Restaurant bestellt er eine Flasche Rosé und zwinkert mir zu.

Ich habe gerade das womöglich beste Date meines Lebens.

 


Mit freundlicher Genehmigung des Verlags